Das Mittelalter war nicht nur Blut, Folter und öffentliche Grausamkeit. Es war auch Wandel, Veränderung und Weg ins heute. Lange noch galten im öffentlichen Recht alte germanische Stammestraditionen. So gab es in Mitteleuropa, wenn auch nicht so stark wie in anderen Weltgegenden, die Blutrache bei Mord und Totschlag. Und zu einem Totschlag konnte es bei Streitigkeiten, besonders wenn auch noch Alkohol im Spiel war, sehr schnell kommen.
Ein Lösungsversuch war dabei die Sühne, die öffentliche Buße und materielle Entschädigung der Angehörigen des Opfers.
Da waren Messen für das Seelenheil zu stiften oder einfach Kerzen für den Altar. Der Familie des Täters wurden die Kosten für die Beerdigung, auch für die Versorgung von Witwen und Waisen, auferlegt. Genau so war eine längere Pilgerfahrt, vielleicht nach Santiago de Compostela, möglich. Das konnte dauern. So kamen sich die Betroffenen erst einmal nicht mehr unter die Augen und über die Sache konnte heilsames Gras wachsen.
Aus dem späteren Mittelalter gibt es einige, wenn auch nicht viele, schriftliche Zeugnisse über derartige Vereinbarungen. Erhalten haben sich aber vor allem die materiellen Hinterlassenschaften in Form einer doch relativ großen Zahl sogenannter Sühnekreuze. Sie finden sich vor allem im Süden Brandenburgs während ihre Zahl nach Norden zu abnimmt. Oft ranken sich um diese steinernen Zeugnisse örtliche Legenden, wurden sie als Grenzsteine kirchlichen Landes angesehen, als Grabstätten von Hussiten, schwedischer oder französischer Soldaten. Tatsächlich ist es in den meisten Fällen unmöglich, die jeweiligen Denkmäler mit konkreten Ereignissen in Verbindung zu bringen. Dazu kommt noch, dass sich auf ihnen normalerweise keinerlei Aufschriften wie z.B. Jahreszahlen und höchstens Zeichen finden. Handelt es sich dabei um Dolche, Messer, Armbrüste oder Beile, dann könnte damit die Tatwaffe gemeint sein. Bei anderen Werkzeugen wie Pflugscharen, Weberschiffchen und Scheren dürfte es sich um den Hinweis auf die Berufsgruppe des Opfers handeln.
Man weiß heute mit einiger Sicherheit, dass der Brauch der Sühnesteine im Süden Brandenburgs ungefähr gegen Ende des 13. Jh. einsetzt. Weiter westlich traten diese Symbole schon früher auf. Diese Vorgehensweise kam also mit dem Landesausbau in dieser Zeit und den Siedlern. 1532 geht mit dem Reichsgesetz „Carolina“ die Judikative im Fall des Totschlags von örtlichen Instanzen an den jeweiligen Landesherrn. Trotzdem werden ab ca. 1600 weiter Kreuze zur Mahnung und zum Gedenken aufgestellt. Das letzte erst im Jahr 1902.
Man geht davon aus, dass sich in Europa ungefähr 5000 dieser Denkmäler erhalten haben, allein 1500 davon auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Eines der bekanntesten Kreuze findet sich neben dem Westportal der Marienkirche in Berlin. Es erinnert an die Ermordung und anschließende Verbrennung des Bernauer Propstes Nikolaus im Jahr 1325 durch aufgebrachte Bürger Berlins und Cöllns. Und auch sonst trifft der aufmerksame Beobachter immer wieder auf diese Boten aus einer vergangenen Welt. Manchmal versteckt und schwer zu finden im Gras am Straßenrand, manchmal auch unübersehbar wie in den Bildbeispielen dieses Beitrags.
nach:
Dietrich Neubert, Günther Wetzel, Steinkreuze und Kreuzsteine. Inventar Bezirk Cottbus. 1982